Vor ein paar Tagen bin ich in meinem privaten Turnerarchiv über die nachfolgende Vereinsfestschrift „gestolpert“:
Das war jetzt genau vor 90 Jahren.
Und da habe ich viel gelesen und erfahren, was es heute natürlich so nicht mehr gibt. Vielleicht kann ich mit meiner Turnfestnachlese turngeschichtlich Interessierte, besonders vielleicht die Turnjugend, einmal „aufklären und begeistern“.
Als in Unterliederbach bekannt wurde das Gauturnfest auszurichten, war die Begeisterung groß, denn diese Veranstaltung war für die Turnvereine damals ein Höhepunkt und „das Ereignis des Jahres“! Unterliederbach selbst war 1927 noch ein Ortsteil von Höchst a. Main mit ca. 6500 Einwohnern. Der Turngemeinde gehörten ca. 350 Mitglieder an.
Bereits gut ein Jahr vor dem Fest wurden zur Gesamtorganisation die unterschiedlichsten Ausschüsse installiert:
Das Protektorat (Schirmherr) war mit dem Landrat besetzt.
Weiterhin gab es den Ehrenausschuss mit den Honoratioren der Gemeinde.
Dem Festausschuss gehörten 230 „materielle Gönner“ an.
Das waren allerdings noch nicht alle Organisationen; es gab da noch den: Finanz-(mit 6-); den Wirtschafts-(mit 7-); den Wohnungs- und Empfangs-(mit 6-), den Arbeits-(mit 19-); den Turn-(mit 8-) und den Presseausschuss (mit 5 Mitgliedern).
Eine besonders erlauchte Gruppe waren die 19 Gründer sowie die 3 Ehrenmitglieder der TGU.
Die Mitglieder der Ausschüsse trugen zur Erkennung die unterschiedlichsten Abzeichen (Rosetten). Für die Organisation des Turnens, die Geräte wurden im Freien auf dem Turnplatz aufgebaut, gab es einen Turnplan. Die Oberleitung lag dabei in den Händen des Gauoberturnwartes.
Der Turnplan zeigte genau die Einteilungen der Kampfgerichte und Riegenführer für das Männer- und Frauenturnen. Auch die Reihenfolge der zu turnenden Geräte wurde exakt bestimmt. Natürlich hatte der Turnplan einen Berechnungsausschuss zur Verfügung.
Alle Namen der Organisation und des Turnplans waren in der Festschrift eingetragen!
Zum Turnfest selbst meldeten sich 22 Gauvereine mit fast 300 Turner und Turnerinnen. Sie kamen zu Fuß oder mit der Bahn; auch zu Pferd und mit dem Bus wurde angereist. Tagesunterkunft nahmen die Vereine in 10 Unterliederbacher Wirtschaften. 200 Turner und 50 Turnerinnen logierten in Privatquartieren.
Nachdem Jubiläum und Gauturnfest gut vorbereitet waren, sich ganz Unterliederbach mit Girlanden geschmückt hatte, konnte es nach der Festordnung losgehen:
„Am Samstag, den 3. Juli 1927 vorm. 11 Uhr gab es eine Gedenkfeier für die verstorbenen und gefallenen Mitglieder auf dem Friedhof.
Am Samstag den 9. Juli 1927 ab nachm. 4 Uhr gab es den Empfang der auswärtigen Turnvereine und noch eine Kampfrichtersitzung. Um 8 ½ Uhr startete ein Fackelzug durch die Ortsstraßen zum Festplatz. Daselbst Kommers unter Beteiligung der Ortsvereine und Ehrung der Gründer und Jubilare.
Am Sonntag, den 10. Juli 1927 startete das eigentliche Gauturnfest: vorm. um 5 Uhr Weckruf, um 7 Uhr Beginn des Wettturnens, anschließend Vereinsturnen, nachm. 1 Uhr Aufstellung und dann um 1 ½ Uhr Abmarsch des Festzuges mit 61 beteiligten Vereinen, um 3 Uhr Allgemeine Freiübungen und danach turnerische Vorführungen um 6 Uhr dann die Siegerverkündigung anschließend Volksfest mit Tanz.
Am Montag, den 11. Juli 1927 vorm. 9 Uhr gab`s den obligatorischen Frühschoppen und nachm.
3 Uhr ein Umzug des Vereins mit der Schuljugend und Volksfest. Das Fest endete bei eintretender Dunkelheit mit Pyramiden in bengalischer Beleuchtung aus“.
Jubiläum und Gauturnfest waren für die 40 jährige Turngemeinde Unterliederbach ein großer Erfolg. Die Kasse klingelte mit einem ordentlichen Überschuss. Damit konnte der Grundstock für die langersehnte eigene Turnhalle gelegt werden.
So war es `halt vor jetzt 90 Jahren. Und heute? Wie steht es da mit den Gauturnfesten? Aber wie sagt man doch: früher war früher und heute ist heute!
Wilhelm Pappert
Quellen:
TGU-Archiv
Margot Lesniewsky: Das große Turnfest 1927 (1998)
Stand: August 2017